6:37 Irgendwo in Düsseldorf Unterrath
Der Tag beginnt, wie er beginnen muss: im Bett. Wie an jedem Wochenende ärgere ich mich, dass ich dann doch länger als geplant auf der Party am Vorabend geblieben bin und möchte am liebsten weiterschlafen. Aber heute geht das nicht! Heute habe ich mir nämlich in weiser Voraussicht gleich mehrere Wecker gestellt und diese treiben mich dann, trotz Kater doch ziemlich schnell ins Bad, und rein in die Klamotten. Dann nur noch das Trikot überstreifen, trotz der angesagten 25 C° den rot-weißen Schal umwerfen und die bereitgestellte Tasche mit den obligatorischen Frikadellenbrötchen finden: Fertig zur Abreise nach Augsburg. Aber es kommt, wie es in Düsseldorf kommen muss: die Rheinbahn kommt 15 Minuten zu spät. Es folgt große Aufregung bei den jetzt schon fast 15 Fortunen in der Straßenbahn, aber der Bahnfahrer zeigt sich gütig und brettert durch die verlassenen Straßen in Richtung Hauptbahnhof.
7:25 Düsseldorf HBF
Pünktlich, genau 2 Minuten vor Abfahrt des ICE´s, erreicht die Straßenbahn den Knotenverkehrspunkt der Düsseldorfer Stadtmitte. Nach einer kurzen Sprintübung erreicht meine kleine Reisegruppe den lustigerweise rot-weißen Schnellzug. Begrüßt werden wir von einer Rentnergruppe im Fortuna-Trikot (vielleicht Else & die Anderen?): “Wenn de Jorges später uch so laufen, dann ham ja jetzt schon jewonnen!”. Ich setze mich lachend auf den freien Platz hinter ihnen und gönne mir, nachdem plötzlich neben dem Zug eine riesige Bahnhofskapelle ohne Uhr auftauchte, eine Runde Schlaf.
10:19 Nächster Halt Frankfurt HBF
Ein lautes “Schalalalalalalaaa Scheiß SGE” von der Rentnertruppe vor mir (Das müssen Else & die Anderen gewesen sein!) reißt mich aus meinen Träumen. Frankfurt. Eine nette Asiatin gibt mir deutlich, aber ohne ein Wort Deutsch und Englisch, zu verstehen, dass sie meinen Sitzplatz reserviert hat und jagt mich weg. Kennt man als Fortuna-Fan ja schon, macht also nichts. Grüßend gehe ich an Else & den Anderen vorbei und bahne mir den Weg durch den vollgepackten Zug, vorbei an riesigen Reisetaschen, Koffern und inzwischen halbleeren 10l-Fässern, finde jedoch keinen freien Platz mehr. Ich setze mich also in den Speisewagen und bestelle kaum einen Kaffee, da kommen schon zwei der rot-weißen Rentner und laden mich zu einem Jägermeister-Frühstück ein. Nettes Angebot, aber nach dem gestrigen Abend bleibe ich vorerst bei meinem Kaffee und plaudere ein wenig mit Walter und Erich, wie sie sich später vorstellen.
11:08 Heidelberg HBF
Walter und Erich verabschieden sich und gehen zurück zu ihren Plätzen. Ich bestelle mir den nächsten Kaffee und stelle mit großem Erstaunen fest, dass sich ein Junge in einem Bayern München-Pullover mit seiner Mutter an meinen Tisch setzt. Besorgniserregend. Ich flüchte, nachdem ich bezahlt und die Mutter über ihre Fehler in der Erziehung aufgeklärt habe und finde einen unreservierten Platz, wo dann das erste Frikadellenbrötchen vernichtet wird.
11:50 Stuttgart HBF
“Es ist egal ob wir das Spiel verlieren, denn darauf kommt es nicht an” tönt aus meinen Kopfhörern. Völlig richtig Campino, aber 3 Punkte nehmen wir heute hoffentlich trotzdem mit.
12:53 Augsburg HBF
“HURRA, HURRA, DIE FORTUNA IST DA!!” schallt es aus den Kehlen der ungefähr 300 mitgereisten Fortunen. Angekommen auf Augsburger Stadtboden, gibt es dann die erste Überraschung: Neben der rot-weißen Invasion scheinen auch die Amerikaner in Augsburg einmarschiert zu sein. 4 Panzer, etliche andere Militärfahrzeuge und knapp 80 Soldaten marschieren umjubelt am Hauptbahnhof vorbei. Danach viele Menschen in bayrischen Trachten, Eishockeyspieler in volle Montur und Musikkapellen ohne Ende. Man muss schon sagen, Augsburger wissen, was sich als Gastgeber gehört.
Zweite Invasion des Tages
13:20 FCA-Fanshop
Ein wenig Provokation muss sein und deswegen gehe ich in den Fanshop der Augsburger (übrigens ca. 200 m vom HBF entfernt) und entdecke die Trikots vieler sympathischer Spieler (von Bellinghausen, über Njdeng zu Rafael). Ein Düsseldorfer mit Bellinghausen Trikot in Hand? Das sorgt für Aufsehen. Sofort stürmen zwei urige Bayern in Lederhosen auf mich zu und fordern das “I den Bello zuaruggschickn soi” weil er hier in Augsburg gebraucht würde. Nando Rafael dagegen weinen beide keine Träne nach und feixen, dass wenn Rafael spielen sollte, das Spiel 0:0 ausgehen würde. Außerdem werde ich aufgeklärt, dass mein seltsames Begrüßungskomitee der alljährliche Plärrerumzug durch den Augsburger Stadtkern war. Zeit für das zweite Frikadellenbrötchen.
13:50 Straßenbahn
Bayrisch. Dieser seltsame Dialekt der rein gar nichts mit dem wohlklingendem Düsseldorfer Platt zu tun hat scheint überall zu sein. Im tiefsten Bayern scheint wirklich niemand Hochdeutsch zu sprechen.
14:30 SGL-Arena
Das Gefühl das jeder Fortuna-Fan kennt tritt ein. Man ist mehr als 560 km von der Heimat entfernt und betritt ein fremdes Stadion. Trotzdem stehen dort dann mindestens 200 Leute die man kennt, vom Grundschullehrer über den Hausarzt bis hin zu denen, die man Woche für Woche im Stadion trifft. Wunderschön.
15:27 SGL-Arena
Die Aufregung steigt, die Augsburger spielen 95 Ole und gleich wird das erste Bundesligaspiel mit Düsseldorfer Beteiligung seit 15 Jahren angepfiffen: Unsere Fortuna ist wieder da wo sie hingehört. Ich lasse noch einmal die letzten Jahre an mir vorbeiziehen, die Pokalspiele, das Spiel gegen Werder II, die Relegationsspiele gegen Berlin, die Bengalen, Trikots mit Affen auf der Brust. Ich realisiere: Das alles ist mit dem heutigen Tag vorerst vorbei. Fortuna ist wieder angekommen im Oberhaus und das ist auch gut so. Beide Mannschaften laufen ein und die rot-weiße Party beginnt. Harmlose Bodzek-Schüsse werden gefeiert wie Traumtore, Andreij Voronins Freistöße werden umjubelt wie eine Weltmeisterschaft. Wie alle Fortuna Fans wissen: ein ganz normales Auswärtsspiel.
„Wir holen heute den Auswärtssieg..“
16:33 SGL-Arena (63. Min)
Bisher halten die Bayern aus dem FCA-Shop ihr Wort. Rafael spielt und es steht 0:0. Glücklicherweise hatten die beiden die Rechnung ohne Norbert Maier und Dani Schahin gemacht. Letzterer läuft nämlich kurz darauf, völlig allein auf das Augsburger Tor zu, nimmt Maß und hämmert den Ball, über Jentsch hinweg, in die Maschen. Es folgt der intensivste Fortuna Moment meines Lebens. Dieser Moment an dem die ganze Anspannung aus dir herausplatzt, du einfach von dieser unglaublichen Euphorie-Welle erfasst wirst und eine Gänsehaut bekommst. Dieser Moment an dem alle um dich herum ausrasten und den Champions-League-Sieg fordern. Dieser Moment, der dir ein fettes Grinsen ins Gesicht zaubert und du es die nächste Woche nicht mehr aus dem Gesicht bekommst. Das ist der Moment, wegen dem man zur Fortuna geht und gleichzeitig auch die Belohnung für jede Minute auf Auswärtsfahrt, für jede Anfeindung der letzten Jahre und Spiele gegen Velbert. 1:0.
Und es wird noch besser: Mitten in die “AUSWÄRTSSIEG!” Rufe fällt das 2:0. Wieder Dani Schahin, wieder unbeschreiblicher Jubel. Nach der fälligen Humba ist dann auch das letzte Frikadellenbrötchen verschwunden.
17:40 Straßenbahn
Ein dauergrinsender Düsseldorfer unter niedergeschlagenen Augsburgern. Schade, dass es davon keine Fotos gibt.
18:07 Augsburg HBF
Der rot-weiße Party-ICE rollt ein. Trotz mehrfacher Bitte um Ruhe singt der ganze Zug bis weit nach Mannheim den Schlager des Abends. Da kannst du jeden, in Augsburg fragen, F95 ist einfach nicht zu schlagen! Die Stimmung ist riesig, die alkoholischen Getränke des Bord-Bistros ausverkauft. Doch kurz vor Ende der Reise der nächste Höhepunkt: Pokalauslosung. 70 Leute scharen sich gebannt um ein IPhone mit Fernsehempfang und erlangen zu der Erkenntnis: Derbyzeit, Fortuna spielt zu Hause gegen Gladbach. Perfekter kann ein Tag nicht enden.
00:16 Düsseldorf Unterrath
Mehr als 1120 km Zugfahrt, 3 Auswärtspunkte, eine grandiose Pokalauslosung und meine verlorene Stimme liegen hinter mir, aber die Saison und das Abenteuer Bundesliga haben gerade erst angefangen..
